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03.05.2021

Wohnhaus vom Marosen-Lehen fertiggestellt

Bezirkstagspräsident Mederer unternahm mit einer der letzten Bewohnerinnen Rundgang durch über 400 Jahre altes Gebäude

Großweil, 30. April 2021 – Dieser Tage ist im Freilichtmuseum Glentleiten des Bezirks Oberbayern ein bedeutsames historisches Gebäude fertiggestellt worden, das Wohnhaus vom Marosen-Lehen aus dem Berchtesgadener Land. Bezirkstagspräsident Josef Mederer und Museumsreferent Thomas Schwarzenberger (1. Bürgermeister von Krün) nahmen gemeinsam mit der ehemaligen Bewohnerin Anneliese Huber das über 400 Jahre alte Haus in Augenschein und ließen sich vom Wissenschaftlerteam des Museums führen.

Josef Mederer zeigte sich beim Besichtigungstermin beeindruckt von der Präsentation des neuen Architekturexponats, das bereits vorhandene Wirtschaftsgebäude zu einem Zwiehof vervollständigt. So bezeichnet man Hofanlagen des Berchtesgadener Landes, bei denen die einzelnen Funktionen auf mindestens zwei Bauten verteilt sind. Im Museum bildet das Wohnhaus gemeinsam mit einem Stallstadel und einem Getreidekasten vom Mösler-Lehen aus Ramsau sowie der Hofmühle vom Unterlandtal-Lehen ein Ensemble. Mit dem jüngsten Zuwachs sei man im zentralen oberbayerischen Freilichtmuseum wieder einen Schritt weiter, um der Aufgabe gerecht zu werden, Wirtschafts-, Wohn- und Bauformen aus allen Regionen Oberbayerns zu präsentieren, so der Bezirkstagspräsident. Thomas Schwarzenberger hob hervor, dass am Ergebnis zu sehen sei, wie gut qualifizierte Handwerker und wissenschaftliches Personal Hand in Hand gearbeitet hätten.

Das Gebäude innerhalb des Ensembles „Berchtesgadener Zwiehof“

Das Wohnhaus vom Marosen-Lehen (ehemals „Obersalzbergstraße 66“ in der Gemeinde Berchtesgaden) wurde im Jahr 1592 erbaut, ist also über 400 Jahre alt. Es gilt als eines der ältesten komplett erhaltenen Blockbauten Oberbayerns und gehört auch zu den ältesten im Museum zu sehenden Gebäuden. Größere Änderungen gab es im Laufe der Zeit nicht, lediglich die Küche und die daneben liegende Kammer wurden im 17. Jahrhundert neu in Stein errichtet. Somit lässt sich hervorragend der ursprüngliche Charakter des Hauses aus dem späten 16. Jahrhundert erfahren.

An der Glentleiten war es auf ideale Weise möglich, die natürlich vorhandene Hanglage des Museumsgeländes für den Wiederaufbau so zu nutzen, dass die Lage des Gebäudes der am ursprünglichen Standort ziemlich genau entspricht. Die Gärtner des Museums haben das milde Frühlingswetter genutzt, um den Umgriff des Hauses so originalgetreu wie möglich nachzubilden, angefangen vom Hausgarten am Rande der Buckelwiesen über die Obstbäume, Rosen und Buchsbüsche, Flieder und Clematisranken bis hin zum üppigen Fensterschmuck.

Bewohnt war das relativ kleine Haus noch bis in die 1980er Jahre. Anneliese Huber ist dort aufgewachsen und fühlte sich beim Besuch an der Glentleiten in ihre Kindheit und Jugend zurückversetzt. „Nur die Bergkulisse sah am Originalstandort anders aus“, sagte sie, und dass sie trotz der vordergründigen Beschaulichkeit des alten Häusls den heutigen Wohnkomfort nicht mehr missen möchte.

Präsentation im Museum: „Transparenz steht über allem“

Wenngleich das Wohnhaus über 400 Jahre alt ist, wählte das Museumsteam die 1950er Jahre als Zeitschnitt für die Präsentation an der Glentleiten. Museumsdirektorin Dr. Monika Kania-Schütz erklärt diese Entscheidung einerseits damit, dass so weitestgehend der verbliebene Bestand der Originaleinrichtung des Hauses gezeigt werden kann und sich zum anderen der Glentleiten ein neues Thema eröffnet, nämlich das der Erinnerungskultur. Der ursprüngliche Standort des Marosenlehens verlangt unweigerlich nach einer Erläuterung zeitgeschichtlicher Zusammenhänge. Denn während das kleine Wohnhaus über Jahrhunderte hinweg Generationen von Bergbauern als bescheidenes Heim gedient hat, ereignete sich rundherum ein gewaltiger Wandel und schließlich zog gleich nebenan ein Diktator ein, in dessen übermächtigem Schatten man seinen Alltag lebte. Das Zentrum einer Gewaltherrschaft mit weltweiten Auswirkungen lag kaum einen Steinwurf entfernt von dem kleinen Zwiehof, der damit, so Kania-Schütz, eine zusätzliche Dimension erhält und mehr ist, als ein gut 400jähriges Zeugnis regionaler Bau- Wohn- und Wirtschaftsweise.

Im Hinblick auf die Präsentation des Gebäudes erklärte Kania-Schütz, dass diese unter der Leitlinie der Transparenz stehe. Das gelte nicht nur für die Haus- und Bewohnergeschichte, sondern auch für die Arbeit des Wiederaufbaus, der aus den geborgenen Bauteilen ein Museumsexponat werden ließ. Dass dieses Exponat auch die Museumsgeschichte veranschaulicht, ist schließlich noch eine weitere Dimension. Die Idee zur Zusammenstellung eines Gebäudeensembles „Berchtesgadener Zwiehof“ geht auf den Gründungsdirektor Dr. Ottmar Schuberth zurück, der Getreidekasten und Stallstadel bereits 1978 für die Glentleiten abbauen ließ. Um die Dokumentation und den Abbau des Wohnhauses vom Marosen-Lehen machte sich Ende der 1980er Jahre Dr. Helmut Keim, Museumsleiter von 1979 bis 2004, verdient. Mit dem Wiederaufbau des Wohnhauses ist somit eine offensichtliche Baulücke im Museum geschlossen, die die Glentleiten um ein jahrhundertaltes Bauzeugnis und um ein weiteres aktuell hochrelevantes Thema reicher geworden.

Die Fertigstellung des Marosen-Lehens wird ab Mai von einem Begleitprogramm umrahmt. Geplant ist u.a. eine Vortragsreihe mit Beiträgen renommierter Kulturwissenschaftlerinnen und Historiker zur Erinnerungskultur. Den Anfang wird Albert Feiber von der Dokumentation Obersalzberg machen, aber etwa auch Prof. Dr. Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ Gedenkstätte Flossenbürg, und Ulrich Chaussy, Autor und Journalist, werden zu hören sein. Abhängig von den Vorgaben in Bezug auf die Corona-Pandemie sollen die Vorträge möglichst  live mit Publikum stattfinden. In jedem Fall werden sie darüber hinaus digital auf dem Youtube-Kanal der Glentleiten abrufbar sein. Auch ein digitaler 360°-Rundgang befindet sich in Umsetzung.

Der Auf- und Ausbau des Marosen-Lehens unter Corona-Bedingungen stellte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Freilichtmuseums vor besondere Herausforderungen: Zum einen konnte in den eher kleinen Räumen des historischen Gebäudes durch die vorgegebenen Abstandsregeln nicht gleichzeitig in normaler Personalstärke gearbeitet werden. Zum anderen machten sich die durch geschlossene Grenzen und Kurzarbeit in Betrieben unterbrochenen Lieferketten bei der Bestellung und Fertigung von Materialien für die Präsentation bemerkbar. Dennoch geht das Team um Kania-Schütz davon aus, dass das Wohnhaus ab hoffentlich Mitte Mai für die Besuchenden der Glentleiten zugänglich sein wird und setzt darauf, dass Kultureinrichtungen bis dahin wieder öffnen dürfen.